Ab und zu gibt es solche Filme, die von einer reichen Varietät sind und sich ähnlich einem Wurzelgeflecht nicht nur tief unter die Oberfläche (respektive Haut) graben, sondern auch so weit verzweigt sind, dass man alle Ausläufe gar nicht beim ersten, zweiten oder dritten Hinsehen erfassen kann. Die Anzahl der Emotionen und Gedanken, die der Film hervorruft und anstößt sind derart breit gefächert, dass man während des Sehens gar nicht richtig weiß, wie einem geschieht. Das reinste Gemetzel wird da zu Poesie, die von Dae-su Oh ausgeübte Rache wird, ebenso wie die Rache an ihm, gleichzeitig zu einem Weg zur Erlösung wie zu einem in die tiefste Hölle. Die Bandbreite, die Park Chan-Wook („Stoker“) hier in nicht einmal zwei Stunden abläuft, ist lang.
Die Welten, in denen die Geschichte von „Oldboy“ spielt, darf man durchaus gerne als mehrere, geteilte, separate, aber sich gegenseitig bedingende Welten ansehen. In der einen ist Dae-su (Min-sik Choi, "Lucy") ein Trunken- und Raufbold, ein erbärmlicher Niemand, der ab und zu mal einen heben geht. In einer anderen ist er das Opfer, das nicht nur seiner Freiheit, sondern auch seiner Liebe, seinem Stolz, seiner Identität und allen Sinnen beraubt wird. In wieder einer anderen Welt ist er der Grund allen Übels, der Ursatan, das Sinnbild für alles Schlechte des Lebens. Je nachdem, aus welcher Perspektive man den Film anschaut, je nachdem, wie die Geschichte erlebt. Dae-su selbst ist dabei ein nicht wirklich verlässlicher Erzähler; inwiefern kann man die Handlung nun als echt bezeichnen, inwiefern als ersponnen?
Oder, wenn man einen noch anderen Ansatz wählen möchte: Inwiefern hat Dae-su Macht über die Geschichte, die er dem Zuschauer erzählt und für dessen Aufmerksamkeit er sich am Ende artig bedankt? Der Mann ist de facto ein Mensch mit Problemen, der mit seiner Mittelmäßigkeit nicht zurecht kommen mag und versucht, seine Tochter krampfhaft zu etwas Besserem zu machen, als er selbst ist. Er hat ihr Engelsflügel zum Geburtstag gekauft. Sie soll nicht an seinen Machenschaften zu leiden haben. Die Gesellschaft, die Polizei, alle anderen kümmern ihn kein Stück, sie aber schon. Sie ist sein Ein und Alles und sie wird ihm binnen Sekunden genommen, wenn er im Regen auf einmal verschwindet und später als anderer Mensch wieder aufgefunden wird.
Es scheint nahezu unmöglich zu sein, viel über „Oldboy“ zu philosophieren und schreiben, ohne wichtige Punkte der Handlung preiszugeben. Es sind einem gewissermaßen die Hände gebunden, wenn es um die unheimlich schlauen und vielseitigen Gedanken geht, die der Regisseur und Autor in die (nicht allzu genaue) Manga-Adaption gesteckt hat. Das ist schade, macht den Film aber noch verlockender. Weitaus einfacher ist es da, über die emotionale Wirkung zu fachsimpeln, die sich hier gewaschen hat. Denn obwohl man Dae-su nicht unbedingt immer Glauben schenken kann; leiden tut man mit ihm. Und das nicht zu knapp. Sein Weg ist gezeichnet von (Selbst-)hass, Rachelust, Blutdurst, eiskalter ungeschönter Knüppelgewalt und der unzerstörbaren Angst vor der Sympathisierung mit dem Gegner. Und wenn er am Ende am Boden kauert, nicht weiß, ob er nun ein toter Mann oder noch am Leben ist, dann offenbart sich erst die brachiale Erbarmungslosigkeit des Regisseurs und nur Sekunden später das feinfühlige Gespür des Genannten.