"A woman's heart is a deep ocean of secrets."
James Cameron (Terminator 2 - Tag der Abrechnung) ist ein begeisterter Anhänger der Ozeanografie. Er selbst darf sich sogar zu den wenigen Menschen zählen, die in das westpazifische Challengertief im Marianengraben hinuntergetaucht sind - dem tiefsten Punkt der Weltmeere, dem letzten unerschlossenen Territorium unseres Planeten. Nur logisch scheint es angesichts dieses Umstandes, dass Cameron auch eine ausgeprägte Faszination für Schiffswracke und deren Bergung besitzt: Alles, was das Meer in seiner einschüchternden Anmut verschlang, gilt es zu erforschen. Wer also, wenn nicht James Cameron, sollte sich an einen so geschichtsträchtigen Stoff wie den Untergang der RMS Titanic wagen? Natürlich, Titanic aus dem Jahre 1997 ist nicht die erste Verfilmung der Katastrophe vom 14. April 1912, als das legendäre Passagierschiff mit einem Eisberg kollidierte und über 1500 Menschen ihren Tod fanden.
Allerdings zeichnet sich James Cameron für die ultimative Verfilmung verantwortlich - und das in so ziemlich jeder Hinsicht. Nicht nur hat der damalige Noch-Ehemann von Kathryn Bigelow (Tödliche Kommando - The Hurt Locker) die Möglichkeiten der Computertechnologie - mal wieder - auf ein neues Level gehievt. Er hat vor allem das Blockbusterkino in seiner damaligen Beschaffenheit regelrecht revolutioniert, weil die ausgeprägte Verwendung von CGI-Effekten nicht stattgefunden hat, um den Zuschauer in ein phantastisches Leinwandabenteuer zu entführen, in dem sich, beispielsweise, die längst schon ausgestorbenen Dinosaurier wieder quicklebendig präsentieren dürfen - in Titanic steht der Realismus an erster Stelle. Oder besser gesagt: Die Authentizität, die es dem Publikum ermöglicht, das dreistündige Epos nicht nur zu sehen, sondern es auch mit jeder Pore des Körpers als Sinneserfahrung zu erleben.
Sicherlich, auch Steven Spielbergs Jurassic Park ist eine Lehrstunde in Sachen mitreißender Blockbustermagie und bleibt das Musterbeispiel dahingehend, welch eskapistische Kräfte das Kino bündeln respektive freilegen kann. Titanic jedoch verfügt über eine deutlich markantere Fallhöhe, weil James Cameron den historischen Hintergrund berücksichtigt, obgleich natürlich immer noch ein gewisses Maß an bezeugter Klitterung gewährleistet wird. Exemplarisch dafür können bereits die beiden Hauptfiguren, Rose DeWitt Bukater (Kate Winslet, Little Children) und Jack Dawson (Leonardo DiCaprio, The Wolf of Wall Street), herangezogen werden, die natürlich rein fiktive Charakterkonstruktionen bedeuten. Die Synthese aus Rahmen- und Innenerzählung allerdings verlieht Titanic eine emotionale Größe, der James Cameron im Zuge seiner durch und durch ausgefeilten Dramaturgie sowie der beeindruckenden Audiovisualität weit mehr als nur gerecht wird: Titanic ist Kino von grenzensprengender Erhabenheit.
Ausgetragen auf zwei zeitlichen Erzählebenen, werden wir in das umfangreiche Erlebnis- und Erinnerungsprotokoll der 100-jährigen Rose (Gloria Stuart, Der Unsichtbare) einbezogen - und das, was uns erwartet, ist nicht weniger als eine der größten Liebesgeschichten, die sich zusehends in das Gewand einer der größten Tragödien hüllt. Mag James Camerons detailmanische Rekonstruktion der prunkvollen Titanic ohne Zweifel eine technische Meisterleistung darstellen, seine immersive Brillanz destilliert das Box-Office-Phänomen (ein Einspielergebnis von 1,8 Milliarden US-Dollar konnte niemand prognostizieren) aus den fließenden Übergängen einzelner Handlungskonnotationen und Inszenierungsspektren. Selbstredend ist Titanic nicht nur als überdimensionierte Romanze oder gigantische Nachbildung einer verheerenden Havarie zu verstehen, sondern gleichwohl als gesellschaftlicher Querschnitt, der die Geschlechterrollen von Mann und Frau genauso analysiert, wie die soziale Ungerechtigkeit innerhalb des auf Unter- und Oberdeck zu beobachtenden Klassensystems.
Neben der Beleuchtung der Kluft zwischen Arm und Reich, die im Chaos des paralysierenden Untergangsszenarios regelrecht perverse Ausmaße annehmen wird, offenbart sich Titanic auch als weitsichtige Initiations- und Emanzipationsgeschichte: Rose wird sich aus den ihr auferlegten bürgerlichen Fesseln befreien und die Erwartungen, die seit jeher an sie gestellt wurden, unterlaufen, um einen erlösenden ersten Schritt in Richtung Selbstbestimmung zu bewirken. Wenn sich das opulente Desaster von Minute zu Minute in seiner beklemmenden Ausweglosigkeit kontinuierlich potenziert, offenbart James Cameron ein weiteres Mal seine genuine Meisterschaft als Filmschaffender: Es sind keinesfalls die Momente des aufgescheuchten Gewirrs, des ohrenbetäubenden Lärms, der bedrängenden Panik, die sich in die Köpfe der Zuschauer brennen werden. Es ist die Stille, die als Konsequenz der Katastrophe vollends auslaugt. Die Körper, die steif gefroren im Eiswasser des Nordatlantik treiben.
Titanic stellt ohne Zweifel eine schillernde Ausnahmeerscheinung innerhalb der hochbudgetierten Kulturlandschaft dar. Ein derartig leidenschaftliches, mitreißendes, stimulierendes und in jedem Punkt berührendes Erlebnis gibt es wahrlich nur einmal. James Cameron rekurriert dabei auf die Urreize des Kinos, definiert Titanic somit natürlich auch nicht unwesentlich über seine Gegebenheit als (Jahrmarkt-)Attraktion, ist aber so modern, dass er sich nicht auf den imposanten Schauwerten ausruht, sondern jeder Gefühlsregung ihren entsprechenden Resonanzraum erlaubt: Die Liebe und der Schmerz, beide dürfen sie in übermächtiger Ausformung entflammen und eine ganz eigene Ikonographie etablieren. Das Schiff der Träume, dessen Untergang mehr als nur mathematische Gewissheit war, ist im nächsten Schritt sowohl der Aufschwung ungefilterter, bildgewaltiger Emotionen, wie auch die Berechtigung der heutigen Starpersona eines Leonardo DiCaprios, der den Sprung vom Posterboy zum Charakter-Darsteller mühelos bewältigte.